NeubeginnNach dem verhängnisvollen Ausgang des Zweiten Weltkrieges bestand zunächst ein totales Vereins- und Versammlungsverbot. Mit dem nachfolgenden Antrag bat die Gilde um ihre Wiederzulassung:
Kiel, den 30. Oktober 1947 An die Stadt Kiel Ordnungsdienst (bish. Pol. Präs) V2 Betrifft: Verordnung Nr. 9 der Militärregierung Bezug: Anmeldung des Vereins »Gaardener Gilde von 1738«. Zweck des Vereins Die Gaardener Gilde von 1738 wurde, weil sie dem damaligen Reichsbund für Leibesübungen angehören mußte, stillgelegt und das Vermögen gesperrt. Die Gilde ist dem Reichsbund nicht freiwillig beigetreten. Um eine Auflösung zu verhindern, mußten wir uns dem Zwange beugen.
In den ersten Jahren war die Gilde eine Brandgilde, die sich auf gegenseitige Hilfe gegründet hatte. Alljährlich wurde ein Volksfest und großes Kinderfest abgehalten, bei dem auf einen Holzvogel auf einer Stange mit der Armbrustgeschossen wurde.
Der Zweck der Gilde soll jetzt sein, alljährlich ein Volksfest und Kinderfest zu veranstalten, um der Jugend etwas zu bieten. Um Wiederzulassung der Gilde wird gebeten. Sie soll wieder »Gaardener Gilde von 1738« heißen. Sitz des Vereins ist in Kiel-Süd, Lokal »Zurn Wittelsbacher«, Alte Lübecker Chaussee 31. Gerichtlich war die Gilde nicht eingetragen. Der Vorstand besteht aus folgenden Personen:
1. Vorsitzender Arthur Scharfenberg Kiel-Gaarden Bahnhofstraße 11 Bäckermeister kein Parteimitglied
Stellvertretender Vorsitzender Arthur Hansen Kiel Kronshagener Weg 56 Waffenoberrevisor d. Polizei kein Parteimitglied
Schriftführer Richard Mann Kiel-Gaarden Schulstraße 42 Handelsvertreter
Nach der Genehmigung durch die englische Militärregierung fanden sich folgende Mitglieder zur Wiederaufrichtung der Gaardener Gilde von 1738 am 19. Mai 1948 in der »Dorfschänke«, Lübecker Chaussee, Ecke Bahnhofstraße, zusammen:
Arthur Scharfenberg, 1. Vorsitzender Arthur Hansen, 2. Vorsitzender Eduard Häusler, Kassierer Robert Sörnsen, Schriftführer Heinrich Lüttjohann Wilhelm Kröger Nicolaus Haltermann Heiner Henkel Karl Mettlein Arnold G. Reimer Leo Jasinski Joh. Knutzen jun. Adalbert Boller Julius Möbitz Wilhelm Lüders Christian Röhling Erich Jasinski Otto Neumann Max Böhm Hugo Thode Franz Dossinger
Unter anderem wurde beschlossen, die Gilde unter dem Namen »Alte Gaardener Gilde von 1738« weiterzuführen. Am 6. August 1948 wurde mit einem Schreiben an die britische Militärregierung Det. 909 um die Zusage zum Schießen mit der Armbrust (Gewehre waren verboten) gebeten. das Schreiben hatte folgenden Wortlaut:
Gaardener Gilde v. 1738 Kiel, den 6. August 1948
An die Britische Militärregierung Det. 909 Betrifft: Genehmigung zum Schießen mit der Armbrust Bezug: Ohne Am I5. und 16. August d. J. feiert die »Gaardener Gilde von 1738« ihr diesjähriges Sommerfest im Lokal »Zur Karlsburg«, Barkauer Weg. Das Vergnügen ist verbunden mit Belustigungen aller Art für Kinder, Tanz für Erwachsene und ein Vogelschießen. Das Vogelschießen wird auf einen hölzernen Vogel abgehalten, der auf einer 6 m hohen Stange aufgesetzt ist. Das Abschießen geschieht mit einer Armbrust und Bolzen. Es wird gebeten, der »Gaardener Gilde v. 1738« die Erlaubnis zum Schießen mit der Armbrust zu erteilen.
i.A. Hansen Kiel Kronshagener Weg 56
Nachdem die Erlaubnis durch die CONTROL COMMISSION FOR GERMANY (BE); KREIS RESIDENT OFFICER, SK KIEL, erteilt wurde, stand der Durchführung des ersten Gildefestes nach dem Zweiten Weltkrieg nichts mehr im Wege. Das Programm lief wie folgt ab: |
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Der erste Gildekönig nach dem Wiederaufleben wurde auf diesem Gildefest Franz Einfeldt. Am Tage nach seiner Proklamation, am 16. August 1948, erließ er den folgenden »Aufruf an die Gaardener Gilde von 1738« :
Ich, Unterzeichneter durch Hubertus Gnaden, und von den Schützen der Gilde zum König geschossen, gelobe: -Während meiner Amtszeit der Gilde ein gerechter König zu sein und sie auf die Höhe zu bringen, auf der sie vor dem Kriege war. Ich werde stets bemüht sein, das Ansehen der Gaardener Gilde nach innen und außen würdig zu vertreten, und evtl. auftretende Streitigkeiten in Güte zu schlichten. Sollte es mir nicht gelingen, werde ich die Missetäter in der Gerichtsverhandlung zur Verantwortung ziehen. Als erste Amtshandlung möchte ich unserem Exkönig Heinrich Kraak (Wirt der » Karlsburg«) für seine treue Amtszeit danken. Er hat die Gaardener Gilde während des Krieges (1943-1948) und in der Besatzungszeit zusammengehalten. Das walte Hubertus der König aus dem Vogelschießen 1948 Franz Einfeldt |
Der Startschuß war erfolgt. Es ging wieder aufwärts. Der Vorstand wurde erweitert und am 21. Oktober 1948 organisierte der Vergnügungsausschuß einen »Herbstball« in der »Karlsburg«. Hin- und Rückfahrt erfolgte mit einem angemieteten Autobus. Nachdem am 5. März 1949 dann ein Gildekränzchen mit Kappenfest (ein Abend voll Jubel-Trubel-Heiterkeit-Stimmung und Humor-Papiermützen waren zur Verschönerung des Abends mitzubringen) im Friesenhof (Kaiserstraße, Ecke Karlstal) stattfand, folgte das Gildefest 1949 unter Leitung des Königs Franz Einfeldt in der »Karlsburg«. Erstmals wurde der traditionelle Ummarsch durch Gaarden wieder durchgeführt. Ein Musikkorps stand damals noch nicht zur Verfügung. Dafür spielte eine Tanzkapelle, die abends zum Königsball verpflichtet worden war. Sie wurde kurzerhand auf einen Lastwagen »verfrachtet«, der vor dem Umzug herfuhr, und trotz mancher »Buh«-Rufe war die Stimmung riesig. Für die Kinderspiele existierten damals auf dem verstaubten und spinnendurchwobenen Boden der »Karlsburg« verschiedene Utensilien, die nach gründlicher Reinigung wieder gebrauchsfähig gemacht wurden. Andere Geräte sind nach Feierabend von den Gildebrüdern Max Kaufmann und Heinz Beetz zusammengebastelt worden. Es war alles noch sehr bescheiden; auch die Geschenke für die Kinder. Aber gerade deshalb hat es den Beteiligten und vor allem den Kindern viel Freude gemacht. Viel Sorge bereitete in den Anfangsjahren das Schießen auf den Vogel. Der Schießstand war verwahrlost, in den Schießbahnen, in denen während des Krieges Kartoffeln gepflanzt wurden, standen Gras und Unkraut meterhoch, Blenden waren nur noch teilweise vorhanden und als Feuerholz wohl in den Ofen gewandert. Der damalige Rottmeister 1, Arthur Hansen, der Rottmeister II, Helmut Arnold, Franz Dossinger, Ernst Brandt sowie einige andere Gildebrüder, unter ihnen auch der Besitzer der »Karlsburg«, Gildebruder Kraak, haben den Schießstand dann in mühevoller Arbeit wieder so hergestellt, daß dort die Durchführung des Schießens zu verantworten war. Anfangs durfte ohnehin nur mit der Armbrust geschossen werden. Wie das folgende Bild zeigt, war es nur ein kleiner Haufen Unentwegter, die sich am Sonntagmorgen in der »Karlsburg« zum Schießen und Kegeln einfanden: |
Bis dahin besaß die Gilde noch immer keine Fahne. Die Mittel zur Beschaffung einer solchen fehlten, aus der stets leeren Kasse war nichts zu holen. Jeder hatte so kurz nach der Währungsreform mit sich selbst zu tun, denn es fehlte an allen Ecken und Enden. Trotzdem wurde dann das Unmögliche möglich gemacht. Eine alte Innungsfahne (die Innung bestand nicht mehr) wurde zur Verfügung gestellt, renoviert, umgestickt und zum Gildefest, am 4. und 5. Juni 1950, in einem sehr feierlichen Rahmen im Garten der »Karlsburg« geweiht. Den Weiheakt nahm Pastor Hoff vor, die Festansprache hielt Rechtsanwalt Cruse und das Rahmenprogramm gestalteten das Musikkorps der Brunswiker Schützengilde sowie die Liedertafel »Mozart« unter der Leitung des Kirchenmusikdirektors Gustav Stolz. Ingrid Sörnsen sprach den Prolog, der der Zeit entsprechend mit den Worten begann:
Jahre der Not, des Elends und des Grauens, sind wie ein Sturmwind über unser Volk gegangen, doch wieder regen Millionen Hande sich, um aufzubauen, was unser aller Herzen Innigstes verlangen; aus tiefster Ohnmacht wundersam soll Deutschland neu sich heben und mit verjüngtem Mut und frischer Kraft woll'n ernsthaft wir in Friedensarbeit streben, treu unserm alten Wahlspruch: »Jungs holt fast!«
Unter großer Beteiligung der Gildemitglieder und der Bevölkerung war die Fahnenweihe eine unvergeßliche Feierstunde.
Die »Ehrendamen«, die der Fahnenmannschaft die Fahne überreichten und die Schärpen umlegten, übergaben einen Fahnennagel zusammen mit einer Urkunde, die den Wort laut hat:
Am 1. Jahrestag der Weihe der neuen Gildefahne stiften wir Mädel, die wir die Ehre hatten, die Gildefahne am Weihetag, dem 4. Juni 1950, den Fahnenträgern zu übergeben, einen Fahnennagel, der folgende Inschrift trägt: Gestiftet von Ingrid Sörnsen • Ingrid Arnold • Wilma Arnold Elsa Kröger - Ulla Stratz - Hilde Musa Wir bekunden hiermit feierlich im Namen aller Mädel und Jungen der Alten Gaardener Gilde von 1738, daß wir den in der alten Gildechronik verankerten Tugenden - Kameradschaft - Freude am Leben - Liebe zur Heimat - immer nachstreben wollen. Gaarden am 11. Juni 1951 |
1952 erscheint erstmalig nach dem Kriege wieder eine Festzeitung und das Gildefest stellt sich in einem neuen, festlicheren Gewande dar. Der Dank dafür gebührt in erster Linie dem Gildebruder E. Häusler für die fleißige Werbung sowie dem Gildebruder Rathmann für die Gestaltung des Heftes, und nicht zuletzt den Mitgliedern, die durch ein Inserat erst die Möglichkeit der Herausgabe schufen.
Die Gaardener Bevölkerung wurde aufgefordert, an den Festtagen Häuser und Straßen mit Blumen, Girlanden und Fahnen zu schmücken. Es entfaltete sich ein edler Wettstreit um das am besten geschmückte Haus, um die festlichste Straße in Gaarden.
Laut Beschluß der Generalversammlung fand in diesem Jahr auch das erste Sport-Übungsschießen mit der Luftbüchse statt.
Austragungsort war das Lokal »Wittelsbacher« am 6. März 1952. Künftig traf man sich einmal im Monat zum Schießen und es dauerte nicht lange, da dehnten sich die Übungsabende auf den 1. und 3. Dienstag im Monat, später dann auf den 1. und 3. Mittwoch im Monat, aus. 1953 wurde die Alters-Mannschaft mit den Gildebrüdern Hansen, Arnold, Reimer und Lüders beim Wettkampf in Kopperpahl am 26. und 27. September Landesverbandsmeister des Norddeutschen Schützenbundes.
In dieser Zeit nahm die Mitgliederzahl der Gilde stetig zu, und auf der Jahreshauptversammlung am 31. Januar 1954 - es war eine Gildeehrenpflicht möglichst in Schützenuniform zu erscheinen - betrug sie 163 Personen. Der Vorstand wurde erweitert und bestand bereits aus den Vorsitzenden, den Rottmeistern, dem Kassierer, dem Vergnügungsleiter, den Beisitzern, den Kassenprüfern, dem Richter und dem Staatsanwalt.
Da traf die Nachricht ein, daß die »Karlsburg« dem Neubau des Fernstraßennetzes weichen und ihre Pforten schließen müsse. Mit ihr verschwand auch die letzte Gaststätte mit einem größeren Tanzsaal aus Gaarden. Sie blieb der Alten Gaardener Gilde nur noch ein Erinnerungsstück. Schön waren die Feste in der »Karlsburg«, die alles bot, was zum Feiern erforderlich war; einen kleinen und einen großen Saal, einen ansehnlichen, parkähnlichen Kaffeegarten, ideal für Kinderspiele, eine Kegelbahn und nicht zuletzt einen Schießstand. Schön auch deshalb, weil es interne Gildefeste waren und weil der Zusammenhalt gerade in den ersten Jahren nach dem Wiederaufleben der Gilde besonders innig gewesen war. Es war eine Zeit, die das Gemeinschaftsbewußtsein besonders prägte und trotz Trümmer, Schutt und Asche, das Bedürfnis im geselligen Kreis zu feiern, stärkte. |
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